e-fundresearch.com: Herr Siegert, Herr Schum, wie würden sie das bisherige Börsenjahr 2022 mit nur einem Wort beschreiben?
Siegert & Schum: Inflationsschock!
e-fundresearch.com: Herr Siegert, lassen Sie uns nun ein wenig weiter ausholen und einen ausführlicheren Blick in den “Rückspiegel” wagen: Wie lautet Ihr Fazit zum bisherigen Kapitalmarktjahr 2022 und welche Lehren haben Sie bislang für sich daraus ziehen können? Warum sind die meisten Marktstrategen mit Ihren Prognosen für 2022 derart falsch gelegen? Hätte man gewisse Risiken – wie etwa die hohen Inflationsraten – nicht bereits im letzten Jahr antizipieren können?
Raphael Siegert: Als die US-amerikanische Notenbank letztes Jahr im November die hawkishe Wende - also straffere Geldpolitik – einläutete, wollten nur die wenigsten Investoren an eine nachhaltige Zinswende glauben. In der Vergangenheit hatten die Marktteilnehmer gelernt, dass Aktienmärkte nur steigen, Zinsen nur fallen und dass Notenbanken die Märkte beim kleinsten Husten sofort mit der Liquiditätsspritze beruhigen werden. Die eigentliche Fehleinschätzung kam von der Bondseite, die Investoren und Strategen auf dem falschen Fuß erwischte, wobei allen bewusst war, dass derartig niedrige Renditen das wahre Risiko nicht richtig widerspiegeln konnten. In unseren Augen war der Yield-Pickup bei langen Durationen nicht in Relation zum Risiko vertretbar. Erst mit dem FOMC Protokoll Anfang Jänner dieses Jahres realisierten die Investoren, dass sich das bisherige Narrativum deutlich geändert hat. Die massive Geldausweitung schlägt sich auf einmal in Inflation nieder – das hatten Strategen bis vor Kurzem noch negiert. Selbst konservative Fonds verzeichneten historische Kursverluste und Multi-Asset Manager mussten zusehen wie Diversifikation als risikoreduzierender Faktor schlichtweg nicht mehr funktionierte. Durch den Ukraine-Krieg sind die Faktoren, die schon da waren, verstärkt worden, aber die Größenordnung war nicht prognostizierbar.
e-fundresearch.com: Mittlerweile ist die erste “Halbzeit” von 2022 so gut wie gelaufen: Geopolitische Unsicherheiten und steigende Teuerungsraten haben diese ersten sechs Monate geprägt und in Form von Kursverlusten an den Börsen ihre Spuren hinterlassen. Wie haben Sie sich als Fondsmanager in dieser herausfordernden Marktlage positioniert? Was ist Ihnen, Herr Schum gut gelungen und welche Entwicklungen haben Sie auf dem “falschen Fuß” erwischt?
Gerhard Schum: Nach dem Motto „Risiko bewusst eingehen aber systematisch begrenzen“ konnten sich unsere Kunden im ersten Halbjahr über ein niedriges Exposure zum Anleihen- und Aktienmarkt freuen. Wie wir in unserem letzten Interview bereits beschrieben haben, beruht unsere Investmentansatz neben Diversifikation über Assetklassen auf Trendfolgemodellen und einem strikten Risikomanagement zur Einhaltung der Wertsicherungsgrenzen. Besonders gut funktionierte der dreistufige Ansatz auf der Anleihenseite, wo bereits mit Ende des letzten Jahres aufgrund der Trendfolgemodelle sukzessive das Risiko reduziert wurde, sodass wir die große Abwärtsbewegung in dieser Asset Klasse von der Seitenlinie beobachten konnte. Eine der Herausforderungen für Trendfolgemodelle sind in der Regel starke Gegenbewegungen z.B. in Form von Bärenmarktrallys. Diese haben den positiven Beitrag unseres Gesamtkonzeptes ein wenig reduziert. Aus diesem Grund kommen bei uns mittel bis langfristig ausgerichtete Modelle zum Einsatz, die im Einklang mit der Risikosteuerung stehen, die schnelle erratische Bewegungen bremsen. Dieses Zusammenspiel sehen wir als Erfolgstreiber unseres Konzeptes.
e-fundresearch.com: Haben wir die Talsohle nun bereits durchschritten? Wie sieht Ihr Ausblick für die “zweite Halbzeit” für 2022 aus? Mit welchen Entwicklungen kann man rechnen? Wie haben Sie, Herr Siegert, sich für den zweiten Jahresabschnitt positioniert?
Raphael Siegert: Unser systematischer Ansatz erlaubt es uns aktuell noch nicht das Risiko zu erhöhen, auch wenn sich die ein oder andere Übertreibung am Markt durchaus in Form von Gegenbewegungen entladen kann. Sobald die Märkte einen Boden finden und sich ein positiver Trend etabliert, wird in unseren Fonds sukzessive das Exposure erhöht. Nach den teils heftigen Abverkäufen der letzten Tage an den Börsen kommen wir dem Punkt näher, wo Aktien und Anleihen immer attraktiver werden, Jedoch darf die Macht des Liquiditätsentzuges der Notenbanken nicht unterschätzt werden. Solange die Währungshüter nicht umsteuern, weht am Kapitalmarkt Gegenwind. Für das zweite Halbjahr erwarten wir weiterhin ein schwieriges Umfeld. Der Arbeitsmarkt hat bei einigen kleinen und mittelständigen Firmen bereits gedreht. Eine Trendwende findet auch bei den Prognosen der Unternehmen für ihre Gewinnerwartungen bereits statt, auch wenn die Wall Street noch steigende Gewinne für 2022 voraussagt – Die Diskrepanz wird größer. Viele Anzeichen deuten aktuell nicht auf eine schnelle Erholung. Die Volatilität an den Kapitalmärkten dürfte uns wohl noch länger bestehen bleiben.
e-fundresearch.com: Herr Siegert, Herr Schum, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit
Über die Experten:
Gerhard Schum:
Gerhard Schum hat im Bereich Investmentfonds und Risikosteuerung mehr als 30 Jahre Erfahrung. Er ist seit 2012 in der 3 Banken Generali Investment Gesellschaft m.b.H. tätig und verantwortet wertgesicherte Mandate. Seit November 2019 ist er Teil der Geschäftsführung. Er sammelte seine Erfahrung unter anderem als Abteilungsleiter Capital Protection Products bei Vontobel Assetmanagement. Seine Karriere begann er bei der Creditanstalt Bankverein, wo er als Derivativ- und Anleihenhändler tätig war.
Raphael Siegert:
Raphael Siegert ist seit 2016 Portfolio Manager für die 3 Banken-Generali Investment Gesellschaft m.b.H. Er ist verantwortlich für Aktien- und Multi Asset Fonds sowie für die Entwicklung von quantitativen Investmentstrategien. Seine Spezialgebiete sind Wertsicherungs- und Trendfolgestrategien und die aktive Risikosteuerung von Portfolien.
Er hält einen Master in Quantitative Finance von der Università di Bologna und einen Master in Quantitative Asset and Riskmanagement der Fachhochschule des BFI Wien. Seit 2018 ist er CFA-Charterholder.
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Interview "Die Halbzeitanalys"