Die Zinsen werden hoch bleiben, „until the job is done”. Die besser als erwartet laufende Konjunktur und die starke Verfassung der Arbeitsmärkte machen die Inflationsbekämpfung schwieriger als geplant. Der Job ist also noch nicht erledigt. Und dennoch gehen viele Marktteilnehmer immer noch von bereits ersten Zinssenkungen gegen Jahresende 2023 aus, obwohl weder die Kommentare der Notenbanken noch die ökonomischen Zahlen diese These stützen. Auch die Aktienmärkte zeigten zuletzt eine bemerkenswerte Gelassenheit. Die solide Berichtsaison und die nach oben revidierten Konjunkturerwartungen wurden höher gewichtet als die steigenden Renditen des “Konkurrenten” Anleihen. Das kann man sicherlich so argumentieren, Bestand haben muss es aber nicht.
DIE UNMÖGLICHKEIT DER KURZFRIST-PROGNOSE
Gerade die Zeitachse von Beginn 2020 zeigte eine komprimierte Abfolge von Angst und Zuversicht, von Rezessionssorgen bei aber gleichzeitiger Rekordbeschäftigung und anhaltendem Arbeitskräftemangel. Wer hätte im September und Oktober letzten Jahres erwartet, wie solide sich die Wirtschaftslage im März 2023 darstellt. Keine der teilweise düsteren Erwartungen ist eingetroffen. Dies ist kein Vorwurf an Ökonomen, Politiker oder Vermögensverwalter, sondern einfach nur der Beleg, wie schwierig der Blick in die kürzerfristige Zukunft ist. Regeln und Zahlen helfen, um oft psychologisch und tagesaktuelle geprägte Entscheidungen zu vermeiden.
AKTIENRISIKOPRÄMIE IM VERGLEICH
In der klassischen Wertpapierveranlagung ist die Aufteilung Anleihen und Aktien die strategisch wichtige Erstentscheidung. Dass Aktienrisiken höher sind als Anleiherisiken ist klar, die Frage ist, welche Prämie ich in Form der Ertragserwartung als Investor für das Aktienrisiko im Vergleich zum Anleihebereich bekomme. Wir nehmen in einem theoretischen Beispiel an, dass die Rendite der 10 jährigen Staatsanleihen bei 2 % liegt. Wenn der Aktienmarkt mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 15 bewertet wird, dann macht ein Unternehmen bei einem symbolischen Kurs von 100 EUR einen Gewinn von 6,7 EUR je Aktie. Damit liegt in dieser Modellrechnung dann die sogenannte Aktienrendite bei 6,7 %. Die Prämie im Vergleich zu Anleiherendite von 2 % ist daher bei attraktiven 4,7 %. Soweit zur Theorie.
AKTIENRISIKOPRÄMIE AKTUELL
Der amerikanische Aktienmarkt wird aktuell mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von knapp 19 bewertet, was in unserer Modellrechnung einer Aktienrendite von 5,3 % entspricht. Aber: 1-jährige Staatsanleihen in den USA liegen bei 5 % Rendite, die 10-jährigen Papiere liegen bei 3,9 %. Damit beträgt die Aktienprämie nur 1,7 %, was deutlich unter dem langjährigen Schnitt ist und den geringsten Vorsprung seit 2007 darstellt. Da in Europa die Zinsen tiefer sind und auch die Aktienbewertungen unter dem Niveau der USA liegen, errechnet sich für Europa ein im Vergleich deutlich attraktiverer Prämienwert der Aktien von etwa 5 %.
KEINE VORSCHNELLEN SCHLÜSSE
Solche Modellrechnungen sind dazu da, um von stimmungsbasierten Entscheidungen wegzukommen und vor allem auch einen Blick in die Geschichte zu werfen. Sie sind nicht dazu da, um vorschnelle Schlüsse zu ziehen oder reine Entweder-Oder-Entscheidungen zu treffen. Gehen wir zurück zu unseren theoretischen Überlegungen. Drei Dinge können die Aktienrisikoprämie erhöhen. Sinkende Anleiherenditen, steigende Unternehmensgewinne und damit sinkende Bewertungen und klarerweise auch sinkende Aktienkurse und damit auch sinkende Bewertungen. Für sinkende Anleiherenditen scheint es noch zu früh. Es bleibt daher die emotionslose Erkenntnis, dass die Anleihemärkte abgesehen von absoluten Zahlen vor allem im relativen Vergleich so attraktiv sind, wie seit vielen Jahren nicht. Wir nützen daher weiterhin die Niveaus gerne für Zukäufe in allen wesentlichen Anleihesegmenten. Im Aktienbereich dagegen nutzen wir aktuell 70 % der möglichen Höchstquoten in den unterschiedlichen Strategien aus und würden nur zukaufen, wenn die Kurse fallen oder die Gewinnentwicklung der Unternehmen sich wieder dynamisiert.
BEOBACHTEN – UND RUHIGE HAND
Gerade die hektischen Stimmungswechsel der vergangenen drei Jahre haben gezeigt, wie vorsichtig man mit zu rasanten Strategieänderungen sein sollte. Wir halten uns daher weiter an den Vorsatz, mit strategischem Blick zu handeln und hektische Allokationen zu vermeiden.
Innerhalb der jeweiligen Segmente fühlen wir uns besonders in Investmentgrade-Unternehmensanleihen wohl und bevorzugen das mittlere Laufzeitensegmenten. Im Aktienbereich achten wir auf eine ausgewogene Mischung aus „Value“ und „Growth“. Für ein nachhaltiges Comeback der Wachstumsaktien erscheint es uns angesichts der Zinswelt noch zu früh. Wir denken, dass Aktien Europa generell und Österreich speziell weiter relativ zu den USA Aufholpotential haben. Dies liegt aber weniger an neuen fundamentalen Erkenntnissen, sondern einfach an zuletzt zu hohem Pessimismus – und auch den im Vergleich zu den USA hohen Aktienrisikoprämien.
EINE WELT MIT ZINSEN
Ruhige Hand, Geduld und Zeit bleiben angesagt. In einer Welt mit Zinsen ist der Zeitablauf der Freund des Investierens, in einer Nullzinswelt dagegen der Feind. Bleiben wir nochmals bei unseren sehr vereinfachten theoretischen Überlegungen. Wenn Sie sich heute ein Anleiheportfolio mit einer Restlaufzeit von im Schnitt 5 Jahren aufbauen, erreichen Sie eine Rendite von etwa 4 %. Angenommen die Renditen steigen in den kommenden 12 Monaten um 1 % auf 5 %, dann werden Sie mit diesem Portfolio wohl etwa 4 bis 5 % an Kursverlust erleiden, aber 4 % Zinseingang dagegen rechnen können. Ein Minus von 1 % in Summe ist nicht angenehm, aber Sie starten dann in das neue Veranlagungsjahr mit einer Renditeerwartung von 5 %. Der Zeitablauf steht auf Ihrer Seite, weil Sie täglich Zinsen verdienen. Und das ist der fundamentale Unterschied zum schmerzvollen Anleihejahr 2022, wo wir alle aus der Nullzinswelt gekommen sind…
NOTENBANKEN NOCH NICHT AM ZIEL
Eine durch zu wenig Angebot ausgelöste Inflation lässt sich aus Notenbanksicht nur durch eine Dämpfung der Nachfrage bekämpfen. In dieser Inflationsbekämpfung sind die Notenbanken einen guten Schritt vorangekommen, die Inflationsspitzen liegen sowohl in den USA als auch in Europa hinter uns. Österreich war zuletzt ein Sonderfall. Die heimische Politik versucht durch undifferenzierte Maßnahmen genau die von den Notenbanken so gewünschte Nachfrageabschwächung nicht eintreten zu lassen. Es ist aber ein Irrweg zu glauben, man kann Inflation mit Geld bekämpfen.
Die Leitzinserwartungen haben sich zuletzt nochmals etwas nach oben bewegt. Der Konsens der EZB-Zinsspitze hat sich von zuletzt 3,5 % auf nunmehr 4 % erhöht. Wir sind nach wie vor im Lager derer, die es für richtiger halten würden etwas auf Zeit zu spielen, die bereits gestiegenen Zinsen wirken zu lassen, anstatt mit zuletzt auch recht radikaler Wortwahl die Fehler der Vergangenheit mit übertriebenem Handeln gutmachen zu wollen. In den USA ist die Zinsspitze von 5 % keine Option mehr, sondern gilt als fix, es könnte eher sogar Richtung 5,5 % gehen. Die Hintergründe sind in beiden Regionen gleich. Die Arbeitsmärkte sind ausgesprochen robust und die Konjunktur läuft besser, als man vor wenigen Monaten annehmen durfte. Gerade in der Sorgenregion des Herbstes 2022, in Europa, sind die düsteren Prognosen nicht eingetroffen.
Ihr Alois Wögerbauer
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