Langfristperspektive versus Tagesaktualität ist die große Herausforderung der Geldanlage. Machen wir gemeinsam ein theoretisches Experiment und nehmen an, Sie hätten sich die Finanzmärkte Ultimo Dezember 2024 angesehen, das nächste Mal erst wieder Ultimo Juni 2025 und dazwischen keinen Blick darauf geworfen. Sie würden sehen, dass der Weltaktienindex in EURO etwa 4 % im Minus ist, nachdem er 2024 etwa 26 % zugelegt hatte. Sie würden sehen, dass der US-Dollar zum EURO um etwa 12 % gefallen ist, nachdem er 2024 etwa 7 % zugelegt hatte. Sie würden sehen, dass der breite europäische Aktienmarkt ohne Berücksichtigung der Währung um etwa 3 % besser war als jener der USA, nachdem Europa im Vorjahr deutlich zweistellig hinterhergehinkt war. Und Sie würden sehen, dass Gold in EURO weitere 14 % zugelegt hat. Würde Sie das alles als außer-gewöhnlich oder spektakulär empfinden? Wohl nein, dennoch wollen wir für Sie das doch turbulente Halbjahr in zehn Gedanken zusammenfassen.
Gedanke 1
ZÖLLE - DAS WORT DES JAHRES „25 % Zoll gegen die ganze Welt“ – dies war kurz zusammengefasst die Botschaft des US-Präsidenten am mittlerweile historischen 2. April. Die folgende Aktienmarktkorrektur gehörte auch zu den größten der jüngeren Geschichte. In weiterer Folge war es schwierig den Überblick zu bewahren aus Drohungen, Ankündigungen, Verschiebungen und unrealistischen Erwartungen. Damit verlor auch das bewusst gewählte Stilmittel der Unberechenbarkeit an Kraft; die Dynamik der Markterholung überraschte dennoch. Offenbar steht weiterhin viel Liquidität für die Veranlagung bereit. Wir wollen uns nicht anmaßen, die nächsten Schritte von Donald Trump zu kennen, gehen aber für die Sommermonate nicht von weiteren Eskalationen, sondern eher von Kompromissen aus.
Gedanke 2
DEUTSCHLAND: ÜBERRASCHUNG DES JAHRES In unserem Jahresausblick wünschten wir uns einen entspannteren Umgang Deutschlands mit der Schuldenbremse. Dass daraus wenige Wochen später ein Schuldenturbo wird, war aber jenseits unserer Vorstellungskraft. Dieses internationale Ausrufezeichen unterstützte generelle Kapitalflüsse nach Europa. Folge ist wohl ein grundsätzlich etwas höheres strukturelles Niveau der Renditen der Staatsanleihen. Folge ist auch, dass ab 2026 für Deutschland wieder Wachstumsraten von 1,5 % oder mehr realistisch erscheinen, ungewohnt nach dem vergangenen dürren Jahrzehnt. In der Richtung teilen wir die Entwicklung, in der Umsetzung erwarten wir temporäre Ernüchterungen, da die Zeitachsen zu optimistisch erscheinen. Wir sehen regionale Aktien weiterhin positiv; im Bereich Infrastruktur und Wiederaufbau erscheint aber ein gewisser Teil der Zukunft nach den jüngsten Entwicklungen schon eingepreist.
Gedanke 3
GEOPOLITIK – DIE TRAGÖDIEN DES JAHRES Russland-Ukraine, Israel, Iran. „Warum stecken die Märkte die tragischen Eskalationen der Geopolitik so gut weg?“ Dies ist wohl die am meisten an uns gestellte Frage des ersten Halbjahres. Emotionale Eindrücke und rationale Entscheidungen sauber zu trennen, ist eine große Herausforderung. Letztendlich muss man sich zu einer nüchternen Betrachtung zwingen und sich immer die Frage stellen: Hat der regionale Konflikt einen substanziellen Einfluss auf die Entwicklung der Weltwirtschaft, auf das per-sönliche Konsumverhalten, auf Megatrends der Technologie oder auf die neuen Wachstumsbringer wie etwa Indien? Diese Fragen waren auch jüngst mit „NEIN“ zu beantworten, was die Reaktion beziehungsweise die Nichtreaktion der Märkte dann doch stimmig erklärt. Zudem ist die Bedeutung des Ölpreises für die Konjunktur nicht mehr so hoch wie vor einigen Jahrzehnten, wir leben weitgehend in Dienstleistungsgesellschaften.
Gedanke 4
US-DOLLAR – DIE TRENDWENDE DES JAHRES Eine breite Schwäche des US-Dollars nach der strukturellen Stärke der vergangenen Jahre ist eine neue Erfahrung. Auch die mediale Berichterstattung hat sich noch nicht angepasst. Jüngst schrieben zahlreiche heimische Medien, dass der US-Aktienmarkt wieder auf All-Time-High ist. Korrekt, aber ohne den Hinweis, dass der US-Dollar seit Jahresbeginn 12 % tiefer steht für einen EURO-Investor dann eben doch nicht korrekt. Bis dato ist die Dollar-Abwertung auch der von der US-Administration gewünschte Anpassungseffekt. Betrachtet man die Entwicklung der vergangenen beiden Jahrzehnte, so ist dies durchaus nachvollziehbar. Trends folgen Trendverstärkern, sichern sich Unternehmen Dollar-Bestände ab, führt dies technisch zu weiteren Dollar-Verkäufen. Aus der Innensicht der USA wird dies die Inflationsraten etwas anheben, es wird aber auch bei den Exportriesen der USA aus den Bereichen Technologie oder auch Konsum zu positiven Gewinnrevisionen führen. Insgesamt meinen wir, dass beide Seiten des Kontinentes mit einem Niveau von etwa 1,20 zum EUR gut leben können. Der wesentliche Teil der Anpassung sollte hinter uns liegen.
Gedanke 5
US-STAATSCHULDEN: DAS „NEUE“ THEMA DES JAHRES Es ist immer wieder bemerkenswert, dass Themen, die lange bekannt sind, lange nicht und dann eben doch thematisiert werden. Die US-Staatschulden liegen in Relation zur Wirtschaftsleistung im Bereich von bald 130 %; mit der Brille der Europäer ist das italienisches Niveau. Das Problem sind allerdings nicht die Schulden, sondern eher der Zinsendienst, der in den USA 2025 die Marke von 1.000 Milliarden Dollar erreichen dürfte. Dies entspricht 4,4 % der amerikanischen Wirtschaftsleistung und ist somit ein internationaler Spitzenwert. In Österreich liegt diese Zahl bei 1 %. In den kommenden beiden Jahren stehen enorme Refinanzierungen der US-Schulden an. Donald Trump wird die Balance finden müssen, um einerseits seine Agenda abzuarbeiten, aber andererseits das Vertrauen der globalen Welt in den US-Staatsanleihemarkt und die Notenbank nicht zu gefährden. Falls Sie Marktinfos persönlich verfolgen, so speichern Sie sich die Rendite der 10-jährigen Staatsanleihen der USA ganz oben in Ihrer Liste ab. Dies wird auch im zweiten Halbjahr das „Fieberthermometer“ des internationalen Vertrauens in die USA sein. Aktuell ist die Lage aber ruhig.
Gedanke 6
AKTIEN-RISIKOPRÄMIE – DIE FRAGE DES JAHRES Der technische Begriff der Aktienrisikoprämie beschreibt den Mehrertrag, den Aktien im Vergleich zu Anleihen bringen. Wird der US-Aktienmarkt mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 25 bewertet, dann sagt dies, dass ein Unternehmen mit symbolisch Kurs 100 dann 4 Dollar Nettogewinn macht, was einer Aktienrendite von 4 % entspricht. Die Renditen der Staatsanleihen liegen höher bei aktuell etwa 4,3 % für 10 Jahre, Unternehmensanleihen liegen nochmals substanziell darüber. Dies ist eine historisch sehr ungewöhnliche Konstellation, die eigentlich für US-Anleihen und gegen US-Aktien spricht. Wie immer wäre es aber zu einfach, Ansätze aus der Vergangenheit einfach die Zukunft fortzuschreiben, wir raten von vorschnellen Schlüssen ab. Machen wir auch an dieser Stelle ein gemeinsames und theoretisches Experiment. Sie müssen eine Veranlagung treffen, sie können diese für 10 Jahre nicht mehr verändern – und sie haben nur zwei Optionen: 10-jährige Staatsanleihen aus den USA oder Aktien von Microsoft. Wofür würden Sie sich entscheiden?
Gedanke 7
ANLEIHEN – DER STABILISATOR DES JAHRES Die Jahre 2015 bis 2021 werden in der Finanzmarktgeschichte als die Jahre der Null- und Negativzinsen verankert bleiben, die Trendwende erfolgte 2022. In den Turbulenzen des Jahres 2025 zeigten sich die Anleihemärkte vergleichsweise als solider Stabilisator. EURO-Staatsanleihen nähern sich in den Renditen an, sinkende Renditen sind im Umfeld der aktuellen Schuldenpolitik bei gleichzeitig sich aufhellenden Konjunkturaussichten nicht zu erwarten. Unternehmensanleihen zeigen sich bemerkenswert stabil und Anleihen aus den Emerging-Markets profitieren von einem schwächeren US-Dollar, da in der Regel sehr viele Schulden in US-Dollar emittiert werden und damit die Schulden weniger hoch sind. Damit sind Anleihen wieder eine echte Alternative und keine „Notversion“. Wir gehen auch im zweiten Halbjahr von keinen massiven Bewegungen am langen Laufzeitende aus, weder nach oben noch nach unten. Wir erwarten keine Kursgewinne, wir brauchen sie auch nicht, wir leben endlich wieder von den Zinsen. Unsere diversen Anleihestrategien liegen nach den ersten sechs Monaten bei knapp 2 % Rendite, was auch in etwa unsere Erwartung für die zweiten sechs Monate ist. Ertragserwartungen von knapp 4 % steht ein Leitzins von bald 1,75 % gegenüber.
Gedanke 8
ÖSTERREICH – DAS COMEBACK DES JAHRES Die Wiener Börse gehört 2025 zu den zehn besten Börsenplätzen der Welt. Ein Zusammenhang mit der heimischen Politik oder der heimischen Konjunktur- und Budgetlage ist daraus nicht herzustellen. Einerseits ist es ein Aufholeffekt nach einigen Jahren im Vergleich schwächelnder Entwicklung, viele Aktien waren einfach zu billig. Dazu kommen aber weitere Effekte. Globale Gelder fließen wieder stärker nach Europa, zudem werden erstmals seit Jahren auch wieder mittel- und kleinerkapitalisierte Unternehmen gesucht. Das deutsche Infrastrukturpaket führt zu erhöhten Konjunkturerwartungen, welche auch die heimische Wirtschaft stützen sollten. Zudem ist die Ertragslage vieler heimischer Unternehmen wesentlich besser, als man angesichts der medialen Stimmung vermuten würde. Wir gehen davon aus, dass dieser Anpassungsprozess noch nicht abgeschlossen ist und bleiben optimistisch.
Gedanke 9
GOLD – DIE BESTÄTIGUNG DES JAHRES Unsere Formulierungen Gold betreffend sind seit geraumer Zeit gleich. Wir sehen dies nicht isoliert, sondern immer im Kontext mit einer gesamthaften Portfoliostrategie. Wir ändern unsere Meinung nicht. Korrekturen nach den Anstiegen der vergangenen Quartale wären gesund und logisch, wären aber eine Chance Position die zu erhöhen. Die Aussagen der globalen Notenbanken sind klar, sie sehen Gold als Währung und haben seit zehn Jahren die Bestände konsequent erhöht, um ihre Devisenreserven zu diversifizieren. Das amerikanische Schuldenproblem wird nicht so leicht lösbar sein, wie sich Donald Trump das vorstellt. Die globale Geopolitik bleibt kompliziert. Bleiben Sie investiert und denken Sie nicht täglich über den Kurs nach, der nicht immer eine neue Information bringt…
Gedanke 10
WIE GEHT ES WEITER ? DIE FRAGE DES JAHRES, WIE IMMER… Die vergangenen sechs Monate haben eindrucksvoll gezeigt, wie stark Märkte von den Aktionen oder Aussagen einzelner Personen geprägt sein können, dementsprechend ist Demut, was die Punktprognose betrifft, angesagt.
Im Anleihebereich sehen wir weiter ein solides Umfeld, bei Ausnützung auch riskanterer Asset-Klassen wie Hybrid-Anleihen oder Emerging-Market Bonds sind in breit diversifizierten Strategien weiterhin Renditen im 4 %-Bereich darstellbar. Im Aktienbereich haben wir zuletzt Europa erhöht, werden aber aus heutiger Sicht keine weiteren Schritte mehr setzen. Wir haben das erste Mal seit langer Zeit wieder erste Schritte Richtung Emerging-Markets gewagt und auch unsere langjährige China-Skepsis reduziert. Im Bereich Künstlicher Intelligenz und Elektromobilität sind die chinesischen Hersteller wohl konkurrenzfähiger als vielen bewusst ist.
„Schwacher Dollar“ und „Make europe great again“ sind die Schlagzeilen des Jahres. Aber es sind mittlerweile auch die Schlagzeilen in allen Börsenmagazinen mit Boulevardcharakter. Wenn alle Medien darüber berichten, dann war das historisch immer ein gutes Zeichen, dass ein guter Teil des Weges gegangen ist. Einmal mehr raten wir daher von Extremmeinungen ab.
Damit geht ein doch spektakuläres Halbjahr zu Ende, ohne im historischen Vergleich spektakulärer Ergebnisse. Wir wünschen Ihnen und uns einen ruhigen und erholsamen Sommer. Mit unserem Monatskommentar melden wir uns Anfang September wieder zurück
Ihr Alois Wögerbauer
Download Fondsjournal