Am 22. September gibt NVIDIA, mit etwa 4500 Milliarden US-Dollar Marktkapitalisierung das aktuell wertvollste Unternehmen der Welt, bekannt, dass man 100 Milliarden US-Dollar in OpenAI, dem Entwickler von Chat-GPT, investieren will. OpenAI will dann gemeinsam mit NVIDIA Datenzentren bauen, womit ein Teil des Investments wieder an NVIDIA zurückfließt. Nach Bekanntgabe dieses Deals steigt NVIDIAs Börsenwert innerhalb von 30 Minuten um 150 Milliarden Dollar. Kann Geldanlage, oder besser gesagt Geldvermehrung, so einfach sein? In einem Umfeld von Euphorie für alle Investments in Künstliche Intelligenz ja. Grundsätzlich aber nicht, so einfach kann es nicht sein. Dies bedeutet nicht, dass man diese Investments gleich verlassen soll. Es bedeutet nur, diese Entwicklungen sorgsam zu beobachten und die Grundregeln der Diversifikation nicht zu vergessen.
TAKTIK UND STRATEGIE
Gerade im Umfeld intensiver tagesaktueller Informationen ist eine Differenzierung zwischen Strategie und Taktik sehr wesentlich, und eine Vermischung dieser beiden Begriffe gefährlich. Ähnlich wie im Fußball ist Strategie die grundsätzliche Spielidee, oder auf die Geldanlage abgewandelt, die Grundidee der Portfoliokonstruktion, abhängig von den persönlichen Zielen. Diese Grundidee sollte man nie aus den Augen verlieren.
Aber nicht jeder Gegner ist gleich, kein Umfeld ist immer stabil, neue Konzepte und Spielideen kommen in den Markt. Daher sollte man weder in der Geldanlage noch im Fußball stur an nur einer Strategie festhalten. Die Taktik ist eben genau dafür da, je nach Umfeld Anpassungen flexibel vorzunehmen, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Wie oft und wie lange man diese Anpas-sungen vornimmt, sollte man sich offenlassen, und eben taktisch beurteilen.
UNSERE TAKTISCHEN ANPASSUNGEN 2025
Unabhängig von unseren mittelfristigen Erwartungen ergeben sich einige aktuelle Erkenntnisse aus dem Jahr 2025.
2025: COMEBACK DER EMERGING-MARKETS
Erstmals seit vielen Jahren haben wir wieder beherzt in Emerging-Markets investiert, wir empfehlen eine Quote von etwa 7 % bis 8 % des Aktienteils und etwa 10 % bis 15 % des Anleiheteils, je nach Risikoneigung.
Erstens, weil historisch betrachtet Emerging-Markets sich immer gut entwickeln, wenn der US-Dollar schwächelt und die US-Zinsen sinken, da wesentliche Teile der Verschuldung in Dollar ausstehend sind. Beides ist aktuell der Fall.
Zweitens, weil im Aktienbereich die Bewertungen unter dem globalen Schnitt liegen und die Emerging-Markets seit 15 Jahren eine Underperformance zum globalen Aktienmarkt zeigen, was deren wirtschaftlicher Bedeutung widerspricht.
Drittens, weil wir davon ausgehen, dass gerade China im Bereich KI und Elektromobilität wesentlich stärker ist, als es der europäischen Wahrnehmung entspricht. Zudem wird die aktuelle US-Politik eher dazu führen, dass die Emerging- Markets grundsätzlich eher zusammenrücken, gegen den „gemeinsamen Gegner“.
2025: COMEBACK VON ÖSTERREICH
Die Wiener Börse gehört mit Kursgewinnen jenseits 30 % 2025 zu den zehn besten Börsenplätzen der Welt. Einmal mehr ein Beweis dafür, dass in einer globalisierten Welt mit vielen exportorientierten Unternehmen, die heimische Wahrnehmung über Politik und Wirtschaft sehr wenig mit der Entwicklung der Heimatbörse zu tun hat. Über 70 % der Umsätze an der Wiener Börse kommen von Auslandsinvestoren. Es fließt wieder mehr Geld nach Europa, in kleiner kapitalisierte Unternehmen, und somit auch nach Österreich. Wir gehen davon aus, dass dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist, zumal die Dividendenrendite des Wiener Leitindex jenseits der 5 % Marke liegt. Titel wie ERSTE Bank oder OMV schaffen es daher aktuell in unsere konzentrierten globalen Portfolios. Kleiner und mittelkapitalisierte Unternehmen aus Deutschland, Österreich und Schweiz sind Teil unserer diversifizierten Strategien. Wie empfehlen eine Gewichtung von 5 % bis 7 % des Aktienteils und legen uns nicht fest, wie lange wir diese Positionen halten wollen und werden, eben weil es taktische Investments sind.
Sowohl die Gewichtungen von Emerging-Markets als auch Deutschland-Österreich-Schweiz nehmen wir zulasten der USA vor, da die dort ausgedehnten Bewertungen und der schwächelnde Dollar zu beachten sind. Wir halten aber fest, dass es keine Strategie geben sollte, die weniger als 50 % des Aktienteils in den USA hält. Zu wichtig, zu ertragreich, zu innovativ sind die US-Unternehmen, als dass man sich vom aktuellen Präsidenten davon abhalten sollte.
2025: COMEBACK DES BEWUSSTSEINS ÜBER STAATSSCHULDEN
Der wohl wesentlichste und von der Öffentlichkeit bemerkenswert wenig betrachtete Trend 2025 war das Repricing der Staatsschulden im langen Laufzeitenbereich. Die Renditen der 30-jährigen Staatsanleihen erreichten Höchststände, die wir teilweise seit 25 Jahren und mehr nicht gesehen haben. Gründe dafür sind die Erkenntnis, dass der Schuldenabbau trotz vieler Bemühungen und Versprechungen in Wahrheit nicht stattfindet, teilweise ganz im Gegenteil. Zudem geht man mittelfristig von höheren Inflationsschwankungen aus, was dann bei längeren Laufzeiten zuerst abgebildet wird. Diesen Trend gilt es intensiv zu beobachten, unmittelbar sehen wir noch keine Eskalation. Dennoch gibt es einen treffenden Börsenspruch: „Staatsschulden sind so lange kein Problem, bis sie ein Problem sind.“ Für die Geldanlage 2025 sehen wir daraus keine Effekte, mittelfristig muss man das aber mitdenken, womit wir bei der Strategie sind…
UNSERE STRATEGISCHEN ANNAHMEN MIT DEM 5-JAHRESBLICK
Zur Erstellung einer Portfolio-Konstruktion braucht es den Blick Richtung Horizont, und nicht auf die täglichen Wellen. Wir gehen derzeit von folgenden Annahmen aus:
Inflation: Die Inflationsrate in der EURO-Zone wird sich im Bereich von 2 % bis 2,5 % einpendeln. Sowohl die EZB als auch die FED werden mittelfristig ein höhere Schwankungstoleranz mitbringen, ein stures Ansteuern eines Inflationsziels macht in volatilen globalen Bewegungen wenig Sinn.
Leitzins: Die EZB hat den neutralen Leitzins von 2 % erreicht und wird in den Beobachtungsmodus wechseln und vorerst und auch 2026 wenig bis keine Veränderungen vornehmen. Die Leitzinsschwankungen der vergangenen fünf Jahre werden sich in den kommenden fünf Jahren nicht wiederholen. Die US-Notenbank wird in den kommenden zwölf Monaten die Leitzinsen dagegen um wohl 1 % senken. In diesem Umfeld sind ein schwacher US-Aktienmarkt und ein starker US-Dollar sehr unwahrscheinlich.
Anleihen: Die Theorie des Zeitfensters höherer Renditen ist zu revidieren. Wir gehen von einem „Higher-for-longer“ aus. Die Versteilerung der Zinskurve spricht für Anleiheinvestments. Einem Leitzins von 2 % stehen derzeit Anleihestrategien gegenüber, bei dem wir uns mit breiter und risikobewusster Streuung über alle Anleiheklassen hinweg Renditen jenseits 4 % für fünf oder sechs Jahre sichern können.
Aktien: US-Aktien sind teuer, aber sind sie das nicht seit zehn Jahren? Seit drei Jahren wird eine Rezession angekündigt, die auch 2025 nicht eintreten wird. Wir meinen, dass Künstliche Intelligenz mittelfristig die Profitabilität erhöhen wird. Wir meinen, dass die Diskussion über Staatschulden und die Inflationsunsicherheit generell die Attraktivität von Sachwerten wie Aktien erhöht. Wir denken, dass die global hoch vorhandene Liquidität die Aktienmärkte grundsätzlich mittelfristig stützen wird. Angesichts aber erhöhter Bewertungen vor allem in den USA setzen wir für die kommenden Jahre global „nur“ 6 % bis 7 % Ertragserwartung an. 4 % Anleiheerwartung und 6 % bis 7 % Aktienerwartung sprechen in einer Risiko-Ertrags-Analyse klassisch für Mischinvestments, 50/50 könnte ein guter Ansatz sein.
Gold: Das Edelmetall eilt von Höchststand zu Höchststand, medial nicht kommentiert und vor den Schaltern der Banken gibt es auch keine Schlangen von Privatanlegern, die sich anstellen. Es kaufen die sogenannten „starken Hände“ in Form der Notenbanken, vor allem aus den Emerging-Markets. Geopolitik, Staatsschulden, Inflationsunsicherheit – die Argumente bleiben. Daher bleibt auch unsere seit Jahren hier kommunizierte Goldüberzeugung, auch wenn eine zwischenzeitliche Korrektur gesund wäre. Wir werden aber nicht euphorisch und würden in den Bereich Edel- und Industriemetalle nicht mehr als etwa 10 % des Ansparkapitals investieren.
WARTEN SIE NICHT AUF DIE PERFEKTE WELT, ES GIBT SIE NICHT…
Wer nur auf die Risiken schaut, wird alle Chance verpassen. Ja, die Lage ist kompliziert. Aber an eine perfekte Welt kann ich mich mein gesamtes Berufsleben lang nicht erinnern. Eine globale Immobilien- und Bankenkrise 2008 oder eine globale Pandemie 2020 waren herausfordernder als ein erratischer US-Präsident. Aufmerksame Leser unseres Monatskommentars wissen, dass die Geopolitik immer wenig Platz in unseren Zeilen findet. Erstens weil Prognosen dazu nicht unsere Kompetenz und Aufgabe sind, zweitens weil wir davon überzeugt sind, dass der Einfluss auf die globale Wirtschaft und die Finanzmärkte tendenziell überschätzt wird.
Legen Sie daher mit ruhiger Hand und reiflicher Überlegung Ihre zu Ihnen passende Strategie fest, nehmen Sie je nach Umfeld Anpassungen in der Taktik vor, lassen Sie den Rest einfach auf sich zukommen und vertrauen Sie darauf, dass gut geführte Unternehmen sich auch in Zukunft anpassen und solide Entwicklungen liefern werden.
Ihr Alois Wögerbauer
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