Auch die Korrektur der Anleihemärkte sprengt in vielen Fällen die historischen Aufzeichnungen, vor allem von der Dimension im Rahmen einer bemerkenswert kurzen Zeitachse. Auch hier wechselten innerhalb von wenigen Monaten Aussagen wie „die Zinsen können nicht steigen“ auf „die Zinsen werden jetzt über Jahre steigen“. Wir sehen in vielen Fällen historisch recht typische und psychologisch geprägte Verhaltensmuster. Menschen sind geneigt, das aktuelle Umfeld - ob gut oder schlecht – fortzuschreiben. Auch ist es verständlich, den Blick auf die Risiken zu richten. Steigende Inflation, steigende Zinsen, Wirtschaft mit Gefahr einer Rezession – aber wie wahrscheinlich ist es, dass diese Kombination dauerhaft zur gleichen Zeit auftreten kann?
IST-ZUSTAND UND ERWARTUNG
Bewertet man die zahlreichen Frühindikatoren aus Industrie und Konsum, so ist nicht die Frage, ob es in den kommenden Quartalen zu einer Abkühlung kommen wird, sondern nur wie stark sie ausfallen wird, wobei die Voraussetzungen in den USA etwas besser sind als in Europa. Fix von einer Rezession auszugehen, erscheint aber noch zu früh.
Damit sehen wir ein historisch bekanntes Muster. Angekündigte Zinserhöhungen wirken in den Köpfen und Entscheidungen deutlich früher als sie effektiv umgesetzt werden. Ob die US-Notenbank daher dann wirklich den Leitzins auf 3% bis Jahresende 2022 anheben muss, um das gewünschte „Soft-Landing“ herbeizuführen, wird der Jahresverlauf zeigen. Die 30-jährigen Hypothekenzinsen sind in den USA im Mai auf über 5% nach oben geschossen, auch das wird deutliche Spuren im US-Konsum hinterlassen.
DER PLAN IST KORREKT
Die Logik des Plans ist aber stimmig. Eine stark von zu geringem Angebot an Produkten bestimmte Inflation kann man nur bekämpfen, indem man die Nachfrage bremst. Dies bringt Zeit, in der sich die Lieferketten erholen können und dies bringt Zeit, damit der Basiseffekt wirken kann. Ein Ölpreis von 120 USD im Juni 2023 hätte dann keinen Einfluss mehr auf die 1-Jahres-Inflation im Juni 2023.
Auch die EZB hat sich endlich bewegt und wird den negativen Einlagenzins von aktuell minus 0,50% in zwei Schritten bis September 2022 auf 0% bringen. In einem Umfeld, wo die US-FED eventuell etwas weniger machen muss als befürchtet und die EZB etwas mehr machen könnte als eingepreist, sollte die US-Dollar-Stärke und EURO-Schwäche zumindest vorerst mal beendet sein. Auch dies ist wichtig, da die EURO-Zone aufgrund der schwachen Währung auch unter einem „Inflationsimport“ leidet.
Die gute Nachricht: Die kommende Abkühlung wird sich in einem Punkt klar von der Historie unterscheiden. Die Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte werden überschaubar bleiben. Auch hier gilt es, eine klare Knappheit durch eine geplant herbeigeführte Abschwächung zu entspannen. Ein Unternehmen, das heute beispielsweise 300 offene Stellen hat, wird dann vielleicht nur mehr 150 offene Stellen haben. Aber rational betrachtet wird sich kaum jemand vorschnell von Arbeitskräften trennen, da die Knappheit latent vorhanden bleiben wird.
DIE KAPITALMÄRKTE SIND VORAUS
Die Kapitalmärkte haben die „neue“ Welt in bemerkenswert kurzer Zeit klar gepreist. Ein Portfolio aus Unternehmensanleihen im guten Investmentgradebereich bringt mit kreativer Beimischung von Hochzinsanleihen bei einer Restlaufzeit von fünf bis sechs Jahren mittlerweile eine Rendite von 2,5% bis über 3% p.a.. Dies ist die höchste Rendite seit dem Jahr 2013. Fast ein Jahrzehnt niedriger und niedrigster Zinsen wurde 2022 in nur wenigen Monaten korrigiert. Wir geben uns nicht der Illusion des perfekten Timings hin, aber wir finden dieses Niveau attraktiv. Vor allem auch aus der Überlegung heraus, dass die Unternehmensbilanzen generell und jene der Banken speziell deutlich solider sind als kurz nach der EURO-Krise im Jahr 2013.
Auch die Bewertung der Aktienmärkte hat sich zuletzt verbilligt. Auf Basis der erwarteten Gewinne für die kommenden 12 Monate gab es sowohl in den USA als auch in Europa deutliche Rückgänge im Kurs-Gewinn-Verhältnis. Österreich ist so billig wie zuletzt 2012. Dies muss noch kein Grund für Entwarnung sein, zumal die Gewinnprognosen recht unklar sind und viele Unternehmen auch die eigene Guidance aussetzen, was die Arbeit von Asset-Managern auch nicht erleichtert. Es ist aber ein Zeichen, dass im Aktienmarkt nunmehr Realismus bis Pessimismus gepreist ist.
INFLATIONSRATE VERSUS ERTRAGSERWARTUNG
In der Kombination aus Lohnanstiegen, Lebensmittelpreisen und Energie wird die Inflationsrate vorerst noch weiter steigen, bevor eine Entspannung ansteht. Bewahren Sie sich den Blick auf periodenkorrekte Vergleiche. Die Antwort auf den Anlagevorschlag eines 3%-Unternehmensanleihe-Portfolios mit 6 Jahren Laufzeit lautete zuletzt oft: „Aber die Inflationsrate liegt doch bei 7%.“ Für die Bewertung einer Anlageidee mit 6 Jahren Laufzeit ist die Inflationserwartung für die kommenden 6 Jahre der einzige passende Vergleich. Die Inflationsrate wird nicht 6 Jahre lang bei 7% p.a. bleiben, wir gehen von einem Rückgang auf etwa 3% bis 3,5% aus, wodurch das aktuelle Renditeniveau der Anleihestrategie in einem gänzlich anderen Licht erscheint.
Auch die Formulierung „Aktien als Sachwerte und Inflationsschutz“ greift so reduziert zu kurz. Es ist unmöglich, die Entwicklung der Aktienmärkte in den kommenden drei oder sechs Monaten fehlerfrei zu prognostizieren. Unser Vertrauen in die Aktienmärkte ist aber langfristig unerschüttert, was ein Blick in die Geschichte belegt. Aufgrund der Kombination aus grundsätzlich strukturellem Wachstum der Weltwirtschaft, Innovation und Dividendenerträgen halten wir an unserer Langfristerwartung von 6% p.a. fest.
UNSERE JÜNGSTEN AKTIONEN IN DEN ANLAGEVEHIKELN
- Man kann sich nicht dauerhaft vor Risiken fürchten, die klarerweise temporär gleichzeitig auftreten können, aber nicht strukturell gleichzeitig über mehrere Quartale. Sollte sich die erwartete wirtschaftliche Abkühlung einstellen, dann werden nicht zur gleichen Zeit mit der gleichen Dynamik Anleiherenditen und Inflationsraten weiter steigen.
- Die Risiko-Ertragsrelation bei Anleihen gefällt uns so gut wie seit Jahren nicht. Wir haben daher zuletzt die für Anleihekäufe zurückgehaltenen Cash-Bestände investiert. Die Abwägung Cash/Anleihen spricht mittlerweile für Anleihen. Wir werden das Timing nicht optimal erwischen können, aber wir können uns die aktuellen Renditen für fünf oder sechs Jahre sichern.
- Die vielzitierte Outperformance des US-Aktienmarktes gegenüber Europa war bereits seit über zwei Quartalen rein auf der Dollar-Stärke begründet; in Landeswährung waren die Entwicklungen ähnlich. Wir halten die Dollar-Aufwertung für vorerst weitgehend abgeschlossen und sehen daher auch in Europa da und dort Zukaufchancen.
- Wenn ein wachstumsstarkes Chip- oder Softwareunternehmen gleich teuer bewertet ist wie ein Nahrungsmittel- oder Getränkeproduzent mit einstelligen Zuwachsraten, dann scheint der Konsolidierungsprozess für Tech-Unternehmen schon weit fortgeschritten. Auf ruckartige Anpassungen folgt in der Regel ein schwankungsintensiver Seitwärtstrend. Wir wiederholen daher an dieser Stelle unsere Empfehlung, dass die Anlagestile „Growth“ und „Value“ weiter ausgewogen gewichtet sein sollten. Einseitige Übergewichtungen sind zu vermeiden.
- Im Gegensatz zu Anleihen halten wir uns im Aktienbereich noch Einstiegsreserven zurück. Wir sind in den diversen Mischkonzepten mit etwa 65% der Maximalquote investiert.
Damit steuern wir weiter ohne Extremmeinungen durch das aktuell anspruchsvolle Anlageumfeld. Und wir behalten auch die Möglichkeit einer positiven Überraschung im Auge, so unwahrscheinlich das heute erscheinen mag. Im Mai und Juni 2020 konnten wir uns nicht vorstellen, wie wir aus der globalen und historischen Corona-Rezession herauskommen können. Zwei Jahre später bekämpfen die Notenbanken Nachfrage und Inflation. Heute sehen wir keine Lösungsidee im Russland-Ukraine-Konflikt, sollten dennoch auch diese Option nicht völlig ausschließen. Dann zu kaufen, wenn es so weit ist, wird spät sein, wahrscheinlich zu spät.
Ihr Alois Wögerbauer
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